Zillo #7, 1999
Das Versteck des Antichristen
Der Umstand, daß Bands aus der Gothic Szene immer mal
wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sind, weil sie mehr oder weniger
bewußt mit Gedankengut und Symbolen kokettiert haben, die eine faschistische
Grundhaltung vermuten ließen, treibt manchmal merkwürdige Blüten. Da wird
aufgrund einer Aussage des Sozialwissenschaftlers in einem "Spiegel"-Interview
plötzlich auch die italienische Electro-Wave-Formation Kirlian Camera ins
"rechte Licht" gerückt, weil sie angeblich ein Konzert mit einem Hitlergruß
beendet haben sollen. Zillo wollte es genauer wissen und fragte bei Angelo
Bergamini, dem kreativen Kopf von Kirlian Camera, nach.
Zillo: Von Organisationen wie der Antifa werdet ihr als
Neofaschisten bezeichnet, weil ihr ein Konzert mit dem Hitlergruß beendet
haben sollt. Falls das der Tatsache entsprechen sollte: Was war euer
Beweggrund dafür - reine Provokation oder steckt ein tieferer Sinn dahinter?
Angelo: Eins muß von vornherein klar sein: Ich protestiere gegen solche
Gerüchte und Aussagen, die zu beweisen versuchen, daß meine Band das Publikum
mit dem Hitlergruß begrüßt. Ein gewisser Alfred Schobert hat in einem
"Spiegel"-Interview behauptet, daß wir - man beachte, daß er im Plural sprach
und damit uns alle meinte - das Publikum auf diese Weise befrüßen. Das ist
ein ernstes Statement und eine ernste Manipulation der Realität. Ich muß an
dieser Stelle zum zigsten Mal wiederholen, daß andere Kirlian Camera-Mitglieder
verschiedene male erklärt haben, daß sie ganz aufrichtig politisch links
einzuordnen sind. Ich muß auch betonen, daß wir oft mit einer Afrikanerin
namens Nancy Grace Appiah zusammenarbeiten und auch zusammen mit ihr auf der
Bühne stehen, womit wir im Electro-Genre eine totale Ausnahme darstellen.
Diese Band hat durch all die Jahre Musiker aus ganz verschiedenen Richtungen
(Schwarze, Weiße, Juden, Faschisten, Kommunisten, Christen, Schwule,
Anarchisten) im Line-up gehabt und jeden einzelnen respektiert. Ich muß sagen,
daß ich nie ein Publikum in Deutschland mit dem Hitlergruß begrüßt habe. Wenn
aber jemand kindische Sachen mag, erkläre ich einiges zu Herrn Schoberts
Aussagen: Im August letzten Jahres traten wir in Berlin auf, und ich muß
ehrlicherweise zugeben, daß ich auf eine ähnliche Weise agiert habe, um
einfach den schlechten Glauben von einigen Leuen zu testen. Da habe ich das
Publikum mit ausgestrecktem Arm begrüßt. Sorry, aber meine Finger waren nicht
ganz verbunden. Was gibt's zu einem Hitlergruß ohne miteinander verbundene
Finger zu sagen? Während unserer Zugabe habe ich aber auch mit dem Symbol der
Walter P-38 gegrüßt, einem Gruß, der während der 70er Jahre von einer
linksextremen Organisation namens Autonomia Operaia verwendet wurde. In
diesem Zusammenhang scheint es doch sehr kompliziert erklären zu sein, warum
wir den Hitlergruß benutzt haben sollen. Weder ich noch Emilia Lo Jacono und
Barbara Boffelli haben je den Hitlergruß verwendet, da sie politisch viel zu
korrekt sind. Und eine Sache muß klar sein: Ich spreche über mein Leben, wenn
ich Musik komponiere und Texte schreibe, und ich kann schreiben, was immer
ich mag. Es gab keine versteckten politischen Botschaften in der
Vergangenheit, und ich muß niemandem etwas erklären.
Zillo: Gibt es denn etwas, das dich aus irgend einem
Grund am Dritten Reich fasziniert?
Angelo: Die Ästhetik des Dritten Reichs ist zweifellos faszinierend. Was ist
aber mit Jean Genet, Luchino Visconti und manchmal sogar Faßbinder? Nun, ich
mag die Nazi-Ästhetik, das kann ich nicht leugnen. Aber was ich über Politik
denke, geht nur mich etwas an, und das würde ich niemandem erzählen. Wahlen
sind geheim, und es ist mein Recht, es auch so zu halten. Ist es nicht so?
Oder gibt es irgendwelche Ausnahmen, die nur auf Kirlian Camera zutreffen?
Zillo: Meinst du nicht, da Künstler eine besondere
Verantwortung beim Gebrauch solcher Symbole haben, die eng mit dem Dritten
Reich verknüpft sind?
Angelo: Ich denke, es gibt zu viele Idioten, die versuchen, einige Werbung
damit zu machen, Symbole und anderes Zeugs verwenden, von dem sie nicht mal
die Bedeutung verstehen. Ich glaube, daß 90% dieser Bands, die Möchtegern-Nazis
werden wollen, nicht weiter als ein Haufen von Verlieren sind, die keine
wirkliche Hoffnung besitzen. Sie verlassen sich darauf, populär dadurch zu
werden, daß sie das Spiel der "Verdammten" spielen, abe sobald jemand kommt,
um ihnen gefährlich mit Zensur zu drohen, leugnen sie alles, arme kleine
Kätzchen! Sie sind nichts weiter als Idioten und sollten auch so behandelt
werden. Übrigens haben Kirlian Camera nie ein Nazi-Symbol verwendet, weshalb
wir mit diesem Thema eigentlich nichts zu tun haben. Warum werden wir deshalb
immer wieder mit diesen beunruhigenden Themen konfrontiert? Wie soll man nur
das große Interesse erklären, uns zu verdammen? Menschen verändern
Informationen zu ihren eigenen Resultaten, um unsere Schuld zu beweisen.
Viele Leute erheben den Anspruch, Dinge zu wissen, die sie nie erfahren
werden, und legen dabei die wirklich intoleranteste Einstellung zutage: Sie
verfolgen etwas, das sie nicht kennen. Suchen sie nach dem Antichristen oder
was?
Dirk Hoffmann