Orkus, 06/1998
Kirlian Camera
An einem Sonntag in Parma
Über den teuren Weg italienischer Autobahnen komm ich
nach langer Fahrt endlich in Parma an. Über die selbstmörderische Fahrweise
der Italiener rege ich mich schon seit Stunden nicht mehr auf, und fahre bei
jeder weiteren Autoattacke bloß schnell rechts rüber.
In Parma angekommen,
freue ich mich nur noch auf etwas zu essen und einen ruhigen Platz in einem
Straßencafe. Ich treffe mich mit Angelo Bergamini und Emilia Lo Jacono in der
Innenstadt Parmas; gut, daß die beiden von sich aus den Vorschlag machen,
schnell etwas essen zu gehen und damit meine Gedanken lesen können. Das Thema
Kirlian Camera, so berichtet Angelo mir, erstreckt sich über einen langen
Zeitraum, in dem es immer wieder schwere Rückschläge gab. So platzte z.B. in
den Mittachtzigern der Majorvertrag mit Virgin, wurden Lizenzen nicht bezahlt,
und die Besetzung der Band wechselte durch persönliche Differenzen mehr als
einmal. Hier erzählt mir Emilia am Rande, daß sie ihr Medizinstudium fast
beendet hat und sich demnächst mehr ihrer Arbeit widmen will. Nachdem die
Band sich bei ihrer letzten Veröffentlichung ein weiteres Mal mit zwei neuen
Mitgliedern präsentierte, scheint dies schon fast zum Konzept geworden zu
sein. Mit der Veröffentlichung der "Best of K.C." ("The Ice Curtain") wird
nun aber endgültig klar, daß diese Band eine lange Geschichte hinter sich hat.
Auf dieser Doppel-CD befinden sich zum einen Stücke, die zum Teil schon älter
als 15 Jahre sind, während auf der anderen CD neue Versionen alter Titel und
komplett neue Werke zu finden sind. Als wir über die alten Zeiten plaudern,
muß ich natürlich auch die Frage der Fragen stellen: was ist mit "Pulstar-Hipnosis"?
Aber auch diese Frage scheint Angelo nicht weiter aus der Ruhe zu bringen,
und sie wurde von ihm, ich glaube zum 100.000sten Mal, beantwortet. Als Angelo
dann noch weiter zurückgeht und plötzlich Namen wie Conny Plank, Trevor Horn
oder John Fryer fallen, lehne ich mich zurück und lausche ehrfürchtig den
Ausführungen des Kirlian Camera-Kopfes.
Orkus: Beginnen wir mit einer Frage zur brandneuen
Maxi: sie ist eine kalt und gleichzeitig dramatisch klingende CD. Ich muß
sagen, sie ist eines der dunkelsten Kapitel, das ihr jemals geschrieben habt.
Ungeachtet dieser Tatsache, verwendet ihr einen ultramodernen Elektroniksound,
teilweise beinahe poppig, und euer Stil entfernt sich mehr und mehr von dem
anderer Bands. War es ein bestimmter Moment, in dem ihr diese Songs
aufgenommen habt?
Kirlian Camera: Ja, und wir mußten dieses Mal extrem auf das Ergebnis achten,
da nichts verlorengehen durfte. Ich wollte soviel wie möglich von meinem
eigenen Leben einbringen. Ich fühlte mich in der richtigen Stimmung, dies zu
tun. Ich brauchte ein echtes und ehrliches Ventil. Dieser kalte und
elektronische Sound, den wir hier verwendet haben, kann wohl am besten den
wolkigen Horizont widerspiegeln, der mir erschien, als ich mich dazu
entschloß, Licht an diese Gefühle zu lassen.
O: Die Texte auf "Drifting" sind noch paranoider und
härter als in der Vergangenheit. "After Winter" zeigt eine reale Groteske,
und dann wieder einen dramatischen Sinn für Humor. Siehst du das auch so?
KC: Ich habe nur versucht, meine Gefühle zu übersetzen. Die Texte sind simpler
geworden und vielleicht diesmal näher an dem, was ich wirklich sagen will.
Manche Dinge brauchen keine pompösen Worte.
O: Die Präsenz von Barbara Boffelli in der Band hat
zugenommen. Bist du zufrieden mit dieser Verbindung? Sie scheint ein vollwertiges
Mitglied von Kirlian Camera zu werden.
KC: Ich habe großen Respekt vor ihr. Sie hilft mir bei der Arbeit an Kirlian
Camera. Sie ist die Richtige für unsere Musik und es macht Spaß, mit ihr zu
arbeiten, denn sie ist eine Person, die weder Streß noch Ärger macht, und sie
gehört fest zur Band.
O: Auf den Stimmen von Barbara und Emilia sind selten
Effekte zu hören; während andere Bands meistens nicht mit Effekten sparen,
reduzierst du den Gesang auf das Wesentliche.
KC: Ich wollte eine nüchterne Atmosphäre schaffen, denn ich glaubte, daß die
Stimmen direkter und wärmer als die Musik sein müßten. Nun ist aber das
Gesamtergebnis weitaus kälter und ergreifender geworden. Es gibt etwas
Unbekanntes und Beängstigendes bei dieser Veröffentlichung. Eine merkwürdige
Atmosphäre umgab uns bei diesen Aufnahmen, und es ist genau diese Atmosphäre,
die ich nicht so leicht vergessen kann. Für meinen Geschmack war es die beste
Lösung, trockene, nicht mit Effekten behaftete Stimmen zu wählen, gerade weil
die natürlichen Stimmen beider Sängerinnen nicht kalt sind.
O: "Drifting" ist nur einer der Songs auf der jetzt
erscheinenden Doppel-CD "The Ice Curtain". Nach welchem System suchtest du
die Songs aus, und warum hast du so lange mit der Veröffentlichung einer Best
Of gewartet?
KC: "The Ice Curtain" beinhaltet 18 Jahre unserer Karriere, und es war nicht
so einfach, ein richtiges Konzept für diese Collection zu erstellen. Wir
entschlossen uns, zum größten Teil exklusives und nicht-instrumentales Material
zu verwenden. Das Achtziger-Material ist überwiegend in Originalversion auf
dieser CD. Desweiteren wählten wir einige B-Seiten und unveröffentlichte Songs.
Einige der alten Songs haben wir remixt, aber der einzige wirklich neue Track
ist "Drifting". Die Spannweite zwischen Tracks, wie z.B. "Ocean", die eher
als Popmusik zu bezeichnen sind, und unseren neuen Songs, wird einige Leute
erschrecken, aber all dies gehört zur Vergangenheit von Kirlian Camera, die
wir auch nicht leugnen wollen.
O: Du trittst oft in Deutschland auf. Glaubst du, daß
das deutsche Publikum Alternativer Musik gegenüber offner ist?
KC: Das deutsche Publikum ist besser als jedes andere. Sie akzeptieren mehr.
Alles in allem ist hier ein großes musikalisches Chaos, da der Markt mit
zuviel überflüssigen Veröffentlichungen überschwemmt wird. Dies ist
gefährlich, da es die Szene ruinieren könnte.
O: Ihr werdet manchmal als eine Band bezeichnet, die
politische und religiöse Aussagen in ihren Texten macht. Warum sind die
Aussagen über Kirlian Camera so kontrovers?
KC: Manche Leute wollen mir nur Ärger machen. Ich habe niemals ein politisches
oder religiöses Manifest in meinen Texten veröffentlicht. Es ist nicht mein
Fehler, daß ich lebe - sie hätten meine Eltern vor meiner Geburt töten müssen.
O: Du hast viele Erfahrungen mit verschiedenen Labeln
gemacht, warum arbeitest du heute nicht mehr mit Major-Labeln zusammen?
KC: Sie haben keine Lizenzen bezahlt, sie waren unfähig, eine Independent-Band
zu managen, sie wollten ständig meinen Stil ändern und waren nie wirklich an
unserer Arbeit interessiert. Also warum? Warum wollen sie mit uns arbeiten,
wenn sie uns nicht mögen? Banale, aber wahre Erfahrungen. Wir sind von zwei
Majors, die auch daran interessiert waren, die Best Of zu veröffentlichen,
kontaktiert worden. Ich glaube, ihre Arbeitsweise ist lächerlich. Ein Beispiel:
niemand bei Virgin wollte "Eclipse" als Single rausbringen; als wir weg waren,
das "Eclipse"-Album und die Single veröffentlichten, fragten sie uns, warum
wir ihnen nicht die Chance gaben, es bei Virgin zu pressen. Dasselbe passierte
mit "Todesengel" und "Desert Inside".
O: Ich hörte eine Menge seltsamer Geschichten über
Kirlian Camera, Hipnosis und andere Sachen. Ist es wahr, daß du mit dem Song
"Pulstar" einen Nummer Eins-Hit in mehreren Ländern hattest und niemals Geld
dafür sahst?
KC: Ja. Wir haben Platin und Gold für diesen Scheiß bekommen, und jeder von
uns erhielt ca. 160,-DM. Das Problem waren nicht ZYX Records, sondern der
italienische Produzent der Platte.
O: Ist es wahr, daß du zusammen mit Conny Plank und
Human League gearbeitet hast? Erzähle uns mehr darüber.
KC: Nicht wirklich. Ich traf Conny Plank während der Eurythmics-Tour in Rom.
Unser Drummer stand in Kontakt mit Conny, und so bekam ich die Chance, ihn
dort zu treffen. Ich war angenehm überrascht, da Conny für mich der beste
Produzent der Welt war, und er von unseren Sachen sehr angetan war. Er wußte
von unserem Ärger mit Virgin und bot uns an, uns bei der Produktion uns bei
der Produktion unseres Materials zu helfen. Doch dann wurde er krank, und als
wir nach Köln kamen, verschlechterte sich sein Zustand. Einige Wochen darauf
verstarb er. Human League - ja. Ich traf sie in Italien. Wir verbrachten eine
Nacht in einem Restaurant und besprachen einige Projekte. Das Ergebnis ist
lediglich eine Split-Single Kirlian Camera / Human League, die nur als Promo
erschien.
O: Was wird uns die Zukunft bringen? Ich hörte, daß
Kirlian Camera sich auflösen wollen und du mit einer neuen Band starten
sollst?
KC: Okay. Ich glaube, wir müssen einige Mißverständnisse klären. Es ist
möglich, daß ich Kirlian Camera einige Zeit einfrieren werde, aber selbst
darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Wir stehen kurz davor, das oft
angekündigte Orchesteralbum aufzunehmen, dann stoppen wir eventuell unsere
Aufnahmen und machen ein paar Konzerte, da wir wirklich gerne live spielen.
Ansonsten möchte ich der Band nach so vielen Jahren gerne eine Pause gönnen.
Auf die neue Band bezogen... Ich werde mit Barbara und einer anderen Person
eine neue Band ins Leben rufen, die voraussichtlich "January Zero" heißen
wird und deren Debut-Konzert im ... Januar sein wird.
Markus Schächter