Nova Files, 02/1998

Kirlian Camera - Von Besessenheit und anderen Kleinigkeiten

KIRLIAN CAMERA ist hauptsächlich der Parmaneser Angelo Bergamini. Und das bereits seit 1980. Obgleich man hierzulande erst 1993 durch den Re-Release von "Todesengel. The Fall Of Life" auf sein eigenwilliges Ausnahmeprojekt aufmerksam geworden ist, verwundert es doch ein bißchen, daß man so lange auf ein längst fällige Werkschau hatte warten müssen. Ob der jetzige Zeitpunkt vielleicht damit zusammenhängt, daß das nächste, reguläre Album ein sehr teures sein wird, da man ältere Songs umgeschrieben ud neu arrangiert mit großem Orchester und ebensolchen Chor aufnehmen möchte und hierfür noch Finanzierungshilfen braucht, sei einfach mal so in den Raum gestellt. Möglich aber auch, daß die Überlegung von Angelo Bergamini, KIRLIAN CAMERA vielleicht und zugunsten eines anderen Projekts eine Zeitlang auf Eis zu legen, diese Entscheidung beeinflußt hat. Wie dem auch sei, mit "The Ice Curtain" erlauben KIRLIAN CAMERA endlich einen eindrucksvollen Blick in eine Diskographie, die angefüllt ist mit Zeugnissen großartigem und höchst individuellen Musikschaffens.

Nahezu zwanzig Jahre im Musikgeschäft überlebt zu haben, ist ziemlich beeindruckend. Gab es nicht irgendwann einmal einen Punkt, wo du dachtest, bis hierhin und nicht weiter? Wo du dachtest, daß alles schon ausgedrückt sei?
Die Musik lebt in mir - und sie ist eine Qual. Was ich jetzt aber nicht sage, um als Künstler angesehen zu werden. Solches habe ich schließich schon oft genug bestritten. Jedenfalls ist es nicht einfach unter diesen Umständen seine Inspirationen zu verlieren. Manchmal fühle ich, daß ich etwas Ruhe bräuchte, aber dieses 'Monster' in mir hört einfach nicht auf zu reden. Das ist das ganze Geheimnis meiner langen, musikalischen Geschichte. Und glaube mir, es ist wahrlich kein Glück. Ich kenne Leute, die furchtbar gerne von diesem 'Feuer' besessen wären, aber für mich selbst ist es weniger lustig.

Hast du trotzdem vielleicht irgendein Rezept für jüngere Bands, wie sie ebenfalls mal so eine lange Biographie aufweisen können?
Wenn jemand sein Leben auf diese Art und Weise verlieren möchte, sollte er oder sie wissen, daß das Wichtigste die eigene Stärke ist, und der Versuch, all die Idioten zu vergessen, die diesen Bereich umgeben. Was natürlich nicht einfach ist, weil, wenn du dich wirklich um die Musik kümmerst, plötzlich überall Idioten auftauchen. Gerade wenn du noch sehr jung bist, hast du es da sehr schwer. Und ganz besonders, wenn du zudem nicht reich bist. Obwohl, die sogenannte Szene ist ja voll von diesen fucking daddy's sons ... Na ja. Der beste Rat, den ich geben könnte, wäre wohl der, einfach zu vergessen wie "einzigartig" und "unvergeßlich" man ist, nur weil man die gleiche Scheiße spielt, die schon viele andere vor einem gespielt haben. Wenn man fähig ist, hinter dieses Bewußtsein zu treten, kann man vielleicht eine wirkliche, innere Kraft entwickeln. Hugh! Sitting Bull hat gesprochen!

In den Achtzigern war deine Musik eher tanzflächenorientiert und nannte wesentlich mehr Popstrukturen ihr eigen. Dann bist du zu einer mehr dunkleren und komplexeren Seite gewechselt. Gab es dafür einen speziellen Grund?
In den Achtzigern hat es mir ziemliche Sorgen bereitet, daß mit den ersten KIRLIAN CAMERA-Veröffentlichungen absolut kein Geld zu verdienen war. Also habe ich, da mich Popmusik sowieso interessiert hat, dieses Element in meine Musik einfließen lassen und bei einigen Majorfirmen unterschrieben, um zu sehen, ob es vielleicht dadurch eine Möglichkeit gibt, zu etwas mehr Geld zu kommen. Zwar haben wir so recht gut verkauft, aber wieder mal nichts verdient. Ende der Achtziger habe ich mich deshalb entschlossen, ab jetzt nur noch meinen eigenen Weg zu gehen, ohne Limitierung nur noch das zu tun, was ich wirklich wollte. Das war auch die Zeit, in welcher "Eclipse" und "Todesengel" entstanden sind. Und es war eine gute Entscheidung, denn heute haben wir ein treues Publikum.

Kannst du dich noch an den allererste Song erinnern, den du geschrieben hast?
Ähm...okay, ich gestehe, daß es Sommer 1971 gewesen war, als ich meine allererste Komposition auf Band gebannt habe, aber 1968 habe ich bereits ohne großen Hintergedanken verschiedene Sounds mit dem miserablen Tonband meiner Eltern aufgenommen. Ich war wirklich noch ein Kind. Der Grund für die Aufnahme war ein beängstigendes Gefühl von Einsamkeit und Entfremdung. Diese Musik brachte mich weg und gab mir etwas Luft zum Atmen. Sie hatte viele Wiederholungen, war sehr minimal und kalt. Ich weiß, es klingt in Anbetracht der Zeit und meines Alters ziemlich unglaublich, aber es ist wirklich war.

KIRLIAN CAMERA ist bekannt für eine hohe Fluktuation der Bandmitglieder. Gehört dieser ständige Wechsel zum Konzept oder bist du einfach nur eine schwierige Person, mit der schlecht auszukommen ist?
Jemand hat gesagt, daß ich besonders schwierig sei, aber Entschuldigung, dem kann ich nun wirklich nicht zustimmen. Ich möchte lediglich nicht von Menschen umgeben sein, die Musik aus irgendwelchen versteckten Gründen machen, Lichtjahre von Eingebung oder Spaß entfernt. Wenn jemand 'einzigartig' sein will, dann nicht mit mir. Manchmal erkennst du diese versteckte Seite an jemandes Charakter erst auf den zweiten Blick und dann gibst du ihm noch eine Chance, etwas zu ändern; nur, wenn nichts passiert, dann muß ich eben einen Schlußstrich ziehen. Aber wenn es Gott gefällt, ist das aktuelle Line-Up perfekt.

Wie kann man sich die Aufgabenverteilung bei euch vorstellen? Haben die anderen eine großen Einfluß auf deine Arbeit?
Der Einfluß der anderen ist nicht unbedingt groß. Zumindest nicht in direkter Form. Allerdings half mir jemand wie Emilia Lo Jacono oft bei den Endmixen und beseitigte einig Fehler, die ich gemacht hatte. Barbara zum Beispiel hat ihren klaren Vorstellungen über den Gesang und hilft, ohne mich dabei zu drängen und immer mit Respekt vor der Grundstimmung, 'bestimmte Horizonte' in den Sound einzubringen. Und Ivano ist ein menschlicher Computer. Sie beeinflussen mich also nicht konkret, aber sie sind in mir.

Für die aktuelle "Best Of"-Compilation mußtest du dich ja für ganz bestimmte Songs entscheiden. Hattest du dafür Kriterien?
Zunächst hatte ich beschlossen, hauptsächlich 'wirkliche' Songs, also keine instrumentalen Tracks zu veröffentlichen, da ich diese zumeist für expressiver und besser halte. Dann sollte die gesamte Geschichte seit unseren Anfängen aufgezeigt werden, selbst wenn manche Titel bereits vor langer Zeit aufgenommen wurden und ich sie im Vergleich zu unseren neuren Sachen nicht mehr besonders mag. Ehrlich, unsere ersten Veröffentlichungen sind voll von falschen Englisch... Wer hat bloß all die Fehler bei den Textübersetzungen gemacht?! Aber unsere Anfänge waren eben von ziemlicher Armut begleitet und niemand außer Simona Buja hatte die Chance zu studieren...

Hättest du gerne manche Tracks im nachhinein verändert?
Ich hätte nahezu jedes Arrangement gerne geändert. Aber letzten Endes ist das nun mal meine bzw. unsere Identität. Obgleich ich natürlich trotzdem nicht widerstehen konnte, einige alternative Versionen auf die Doppel-CD zu bringen. Drei Songs wurden neu abgemischt und besonders 'Erinnerung' klingt jetzt wesentlich besser, obwohl der größte Teil des Remixes bereits vor einiger Zeit entstanden ist. 'Eclipse' wurde ebenfalls neu eingesungen und gemischt, liegt aber auch noch in der alten Version vor. Und die zu hörende Version von 'In The Endless Rain' wurde live und professionell während eines Soundchecks in Deutschland aufgenommen. Alle anderen Titel, außer einem weiteren, sind aber im Original zu hören. Und 'Drifting' ist ein brandneuer Song.

Gibt es eine Erinnerung, die du speziell mit einem der Songs verbindest und die dir wichtig ist?
'The Desert Inside', einer der letzteren Songs, erklärt wohl am besten meine Gefühle. Als ich ihn schrieb, habe ich drei Tage in einem unbeschreiblichen, 'mentalen Raum' verloren. Es war eine Trance ohne Pause. Diesmal wollte ich mich selbst erklären, ohne eventuelle Mißverständnisse. Natürlich ist mir klar, daß es auch die Arbeit ist, die mir zeitlich noch am nächsten steht, aber ich habe den Song tief in meinem Herzen.


Apropos Mißverständnisse: Im Vorfeld zu eurem letztjährigen Konzert in Utrecht gab es eine Demonstration, bei der man euch vermeintlichen Faschismus vorwarf. Berühren dich solche Vorwürfe?
Jemand hat mir erzählt, daß diese Demonstration von der Antifa organisiert worden war. Wenn das wirklich war ist, dann muß ich sagen, daß deren Mitglieder die wirklichen Faschisten sind. Ich scheue mich nicht, so etwas zu sagen, da man früher oder später einsehen muß, daß wir unsere Musik nie für politische Aktivitäten genutzt haben. Und der größte Teil der Leute in Holland wußte das auch. Ein holländischer Interviewer hat uns vorgeworfen, daß wir in einem rechtsgerichteten Magazin ein Interview gegeben haben. Abgesehen davon, daß ich dieses Heft nicht als faschistisch bezeichnen würde, möchte ich eines klarstellen: Ich antworte jedem, der sich für uns interessiert, ohne Ausnahme. Ich habe auch links-gerichteten Magazinen eine Menge Interviews gegeben. Und was ich wähle, ist meine Privatangelegenheit. Dieses 'Recht auf Geheimnis' hat schließlich jeder Bürger, oder? Jedenfalls hat meine angebliche Nähe zu 'seltsamen' politischen Kreisen auch innerhalb der Band für einigen Streß gesorgt. Besonders, da z.B. Emilia oft ihre Sympathie für die extreme und radikale 'rote' Seite geäußert hat und solche Andeutungen nicht mag. Letztendlich möchte ich einfach nur vorschlagen, daß das Publikum allein auf unsere Musik achtet und den Klatsch und die Gerüchte vergißt. Denn wir sind lediglich Musiker, nichts anderes, okay?!

  • Unknown Author