Gothic #38, 10/2002
Frühe Werke
"Uno" nennt sich die neueste Veröffentlichung der
italienischen Kult-Band "Kirlian Camera". Und diese ist ein
Blick zurück in die ersten Tage des Geschehens um Angelo Bergamini Ende der
Siebziger Jahre. Virna Notari stellte die Fragen.
Angelo, zuerst wüsste ich gerne, ob der Titel deines
jüngst veröffentlichten Albums "Uno", auf dem die frühesten Aufnahmen
der Band enthalten sind, etwas mit der Uno-City in Wien zu
tun hat, insbesondere da das Cover angelehnt ist an eine Ausstellung im
"Wiener Palais Liechtenstein" während der 80er Jahre...
Damit hast du einen Teil der Absicht bereits erkannt... Der Titel des
Albums hat eine doppelte Bedeutung für mich, eine Art einfachen Spiels.
Ich habe tatsächlich zu jener Zeit Wien besucht, erstmals übrigens, und
ich habe mir die "Uno-City" genau angesehen. Zudem bedeutet "uno" ja im
im Italienischen "Eins", was hätte also besser für die Veröffentlichung
gepasst, da sie unser erstes Demo ebenso beinhaltet, wie unsere erste
offizielle Veröffentlichung... Damit bleibt nichts ungesagt. Sagen wir mal,
die "Uno-City" in einem Vor[w]ort Wiens fasst ungefähr
die Tendenz zusammen, die wir damals verspürten - da sie in einer Stadt
beheimatet war, die gleichermaßen Technologie bedeutete, wie modern-moderne
Stilrichtungen, alt-moderne Stilrichtungen und "retro" europäische Kultur.
Wien ist der perfekte Ort dafür, um etwas über die Verschmelzung zu
lernen, die zwischen pionierartigen modernen Orientierungen, heutigem
europäischen Lifestyle und alten Traditionen stattfindet. Zusätzlich
beeindruckten mich diese tief verschneiten Landschaften doch sehr...
Einige der Tracks klingen beachtenswert, ein
paar andere sind wirklich beeindruckend! Ich [denke] da beispielsweise
an "Minitech" (1981, unveröff.) und "Myths"... Pan Sonic and Plastikman
waren Mamis Juwelen, wir schrieben erst 1980. An welchen Künstlern habt
ihr euch orientiert mit diesem sicherlich einzigartigen minimalistischen
Stil? Angelo, hast du damals weitere Tracks in diesem Stil geschrieben?
Um ehrlich zu sein, habe ich noch eine ganze Tonne voll von Aufnahmen
dieser alten Art, da zu jenen Zeiten Plattenfirmen kaum an meinen Deliria
interessiert waren. Einige Musiker, die damals puren Industrie-Lärm
fabrizierten, wurden beinahe akzeptiert, allerdings waren die 80er Jahre
nicht die richtige Zeit dafür und die Musik, die mich zu machen
interessierte, hatte andere Kontakte in jenen Jahren. Für meine spezielle
Musik könnte ich die gar nicht sagen, wer mir nun genau Einflüsse
vermittelte, ich selbst hörte mir unterschiedliche Inspirationen an. Früher
hörte ich "La Monte Young's: Theatre of Eternal Music" und in irgendeiner
Art und Weise hat mich das schon beeinflusst, auch wenn es nicht allzusehr
in Verbindung mit meinen frühen rough-recordings steht... Prandith Pran
Nath's Aufnahmen waren sehr spannend damals. Simona Buja hörte sich gerne
diese Aufnahmen an, manchmal zumindest...
Übrigens sang Simona ungewöhnlich und dennoch fangend,
obwohl es ihre ersten Schritte beim Singen waren. Sie sieht toll aus. Es
scheint, als würdest du hübsche und talentierte Frauen in deinen Bann
ziehen, wenn man sich deine Partner anschaut. Ist das eine Herausforderung
für dich?
Halt, Stopp. Entschuldige ?!? Wem sollte ich eine Herausforderung auferlegen?
Dir selbst...
Jetzt hör' aber auf...
Ok. Die Betrachtung globaler Weltereignisse durch
frühere Mitglieder war etwas seltsam. In etwa eine Kombination aus
Hippie-artiger Freaklaune und New-Wave-Modeerscheinung...
Alle Mitglieder der kontroversen, anarchistischen Gruppe "Skelter Joe" über
die man im Buch "Kälte Container" lesen konnte?
Mehr oder weniger...
Denkst du, die zeitgenössische Musik in dieser
Richtung hat eine Chance innerhalb der allgemeinen Pop-Musik?
Du erinnerst mich an Pierre Henry's Arbeiten mit einer Rock-Combo und
selbst Mario Schifano, um Stockhausen nicht zu vergessen... Nun, das waren
alles vage Anstrengungen, die sich in verständliche, fast trendige Attitüde
hüllten mit dem Spirit der Sechziger und danach. Die reine Verknüpfung
von beispielsweise Luigi Nono's Arbeiten mit welchen von John Cage führt
zu nichts, wenn man mich fragt, auch wenn ich weiß, daß man da
gegenteiliger Meinung sein kann. Natürlich haben die beiden vielleicht
andere Bands intellektuell beeinflusst, dennoch finde ich, daß Cages
begriffliche Kunstklänge nicht mit den Texten von Luigi Nono zusammenpassen,
die ja wiederum viel aussagekräftiger und halb klassisch angelegt sind.
Dennoch ist mir klar, daß ihre zeitgenössische Musik einen globalen
Charakter hatte und einen ungeheuer großen Fundus bot, aus dem etliche
Bands ihre "brillanten Einfälle" schöpften... Dann wiederum genügt es
nicht, nur darüber zu lesen, um dann zu kopieren und sich cool
hinzustellen.
Also würde es zu besseren Ergebnissen führen,
wenn man zeitgenössische Sprachen und Textformen separat betrachtet
und diese zuerst einmal mischt?
Für mich macht diese ganze Herangehensweise an "zeitgenössische Kunst"
keinen Sinn, so wie sie gehandabt wird. Allein, eine Wort wie
"zeitgenössisch" als "Tendenz" oder "innovative Angelegenheit" zu
übersetzen, ist schon falsch. Aber sei es drum. Worin liegt der Sinn,
etwa bei Bill Viola und Andy Warhol vergleichen oder gar mischen zu wollen?
Gleiches gilt für mich, wenn versucht wird, Lars von Trier mit Kiarostami
zu verknüpfen, oder Laestitia Casta mit Brigitte Bardot. Sie sind alle für
sich wunderbar, aber eben eigenständige zeitgenössische Künstler ihrer
Gattung.
Kannst du heutigen Gruppen etwas abgewinnen, die
wie 80er Jahre Klone klingen?
Einige davon schätze ich. Ich habe persönlich nichts gegen Revivals
von Musikgruppen oder -richtungen. Bands wie "Vacuum" etwa erachte ich
als fähig und talentiert. Natürlich sind sie deshalb nicht gleich "indie"
Wesen, aber einige ihrer Songs sind großartig. Sogar in der
Untergrund-Szene tut sich einiges, wobei sich herausstellt,
daß manche jungen Bands besser sind als ihre alten Vorbilder, die es noch
einmal versuchen...
Ok Angelo, laß uns ein wenig über das heutige Kirlian
Camera Line-up plaudern. Gerüchten zufolge hast du eine Riesenüberraschung
in petto, was die Zukunft von KC angeht. Jemand erzählte, daß Elena Fossi
und Jarboe von den SWANS fortan die Hauptgesangsstimmen sein werden. Jemand
anderer meinte, daß Roberta Astolfo von LEUTHA kürzlich Bandmitglied wurde
und wiederum jemand anderer verbreitete seltsame Geschichten über Elena,
sie hätte bei der italienischen Polizei gearbeitet. Könntest du dazu etwas
sagen, wenn das nicht zu indiskret gefragt ist?
Das geht schon. Allerdings ist die Antwort auf die ganzen Gerüchte ein
Nein. Jarboe ist eine geschätzte bandexterne Zuarbeiterin. Wir arbeiten
lose zusammen an ihrem Solo-Album und an Kirlian Cameras neuem Album.
Elena ist Sängerin und Musikerin. Ich weiß, daß einige Clowns immer wieder
gerne ihre Zeit damit verschwenden, uns ihre Märchen überzustülpen, jedoch
ist da nichts dran und selbst wenn es das wäre, würde es kein Problem für
die Band sein. Roberta steht mit uns live auf der Bühne und wir arbeiten
hin und wieder zusammen, ein Voll-Mitglied ist sie allerdings nicht. Da
heutige Line-up umfasst keine bizarren Varianten...
Es sieht ganz so aus, als würde ein neues Kirlian
Camera Album näherrücken. Kannst du dazu schon etwas verraten?
Unsere Veröffentlichung des Mini-Albums "Where's the trick ?!?" steht
kurz bevor. Darauf werden brandneue Songs sein und ebenso sehr rare frühe
Aufnahmen - manche Titel wurden durch ein professionelles Kammerorchester
unterstützt, das Francesco Germini leitet. Als Bonus planen wir eine
Streicherversion von "In The Endless Rain". Vom Grundgefühl her wird
sich das Album deutlich von unseren letzten unterscheiden, da alles eine
tiefe Traurigkeit und Verlassenheit beinhalten wird. Wir haben viel Schmerz
verarbeitet, was die CD zum bis dato intimsten Werk von KC macht. Alle
Songs klingen sehr verlangsamt, überall steckt Regen darin und es entfaltet
eine noch größere Unmittelbarkeit als bislang. Die CD erscheint als
limitierte (2.000 Einheiten), nummerierte Edition. Das nächste
Full-length-Album wird dann ohne Eile irgendwann folgen und
"Invisible Front 2004" heißen.
Hast du noch irgendeinen Kommentar zu deinen
vielen Feinden?
Sie sind großartig!
Virna Notari