Entry Magazine, late 1997
Kirlian Camera - ... von kaltem Zorn, Einsamkeit und
Heimweh ...
Viele verbinden mit KIRLIAN CAMERA lediglich deren
Szene-Hit 'Eclipse', was dem wahren Potential dieser italienischen Ausnahmeband
kaum gerecht wird. Befaßt man sich eingehend mit ihren Veröffentlichungen,
wird man schon bald fasziniert eintauchen in die sowohl unwirkliche, als
auch unwirtliche und kalte Welt des Angelo Bergamini. Die Veröffentlichung
des aktuellen Minialbums 'The Desert Inside' war somit mehr als Grund genug,
dem Phänomen KIRLIAN CAMERA mittels Interview auf den Grund zu gehen.
Entry: Vor einigen Wochen befandet Ihr Euch auf einer
kleinen Deutschlandtour. War die Tour ein Erfolg für Euch? Ich habe Euch im
Cult Arnsberg gesehen und war wirklich begeistert, auch wenn nicht sehr viele
Besucher dort waren. Deren Reaktionen waren dafür um so besser.
Angelo: Ich erinnere mich sehr gut an den Auftritt, es war der mit den
wenigsten Zuschauern. Doch selbst diese wenigen Zuschauer gaben uns mit
Ihrer Reaktion ein sehr gutes Gefühl. Ganz allgemein war die Tour ein
einziges Chaos, wir hatten so viele Probleme mit der Organisation, dazu kam
noch politischer Streß in Holland. Nichtsdestotrotz habe ich es genossen,
einmal mehr in Deutschland aufzutreten, wo wir wieder einmal ein wunderbares
und enthusiastisches Publikum vorfanden. Wir haben deshalb immer versucht,
das Beste zu geben, was möglich war, auch wenn wir vielleicht gerade sehr
gestreßt waren. Vielleicht hat das Publikum uns dahingehend verstanden. Es
war eine seltsames Gefühl, aber irgendwie fühlten wir das Publikum 'nah bei
uns', worauf die Band trotz aller Probleme reagierte und daraus die nötige
Kraft schöpfte, um weiterzumachen.
Entry: Ihr habt bei Eurem Auftritt unheimlich viel
Kunstnebel verwendet. Da auf der Bühne showmäßig nicht so sehr viel
passiert, bietet der Nebel für Euch eine Möglichkeit, Euch ein wenig
dahinter zu verstecken?
Angelo: Der Ort an dem ich geboren wurde ist fast ständig in tiefen Nebel
eingetaucht ... ich habe bisher nie darüber nachgedacht, aber vielleicht
ist das eine logische Antwort. Wie auch immer, ich liebe es, von Nebel
umgeben zu sein. Es ist nicht einfach so, daß wir dadurch irgendwelche
Mängel verbergen wollen, es ist vielmehr ein echtes Bedürfnis. Für mich
ist Nebel auch ein Symbol für Einsamkeit und paranoides Dahintreiben.
Entry: Ist diese Suche nach Einsamkeit auch der Grund,
warum Du während fast des ganzen Konzertes eine Maske getragen hast?
Angelo: Nein, eigentlich nicht. Ich benutze diese Wollmütze ehrlich gesagt,
weil ich mein Gesicht nicht besonders mag und es nach Möglichkeit nicht zu
oft zeigen möchte. Außerdem gebe ich dem Zuschauer so die Möglichkeit, sich
selbst ein Gesicht unter der Maske auszumalen, es liegt ganz in seinem
Ermessen, was er/sie sehen möchte.
Entry: Eure aktuelle CD 'The Desert Inside' ist
mittlerweile erschienen. Besonders der tanzfähige Titelsong 'The Desert
Inside' kann gefallen. Gibt es eine bestimmte Message in diesem Stück?
Angelo: Der Song ist wohl mein KIRLIAN CAMERA-Lieblingsstück überhaupt. Ich
habe mein Herz geöffnet, als ich das Stück geschrieben habe und erzähle
darin über wahre Visionen hinsichtlich Einsamkeit und Niederlagen. Es gibt
kaum Hoffnung in diesem Stück, wie auch auf der ganzen CD, sondern nur
entfernte kalte Lichter. Da ist ein endgültiges Gefühl des Verlorengehens,
aber genauso eine seltsame und unerwartete Stärke. Ich glaube nicht, daß es
unbedingt so depressiv ist, vielmehr steht das Stück für eine meistens sehr
ernüchternde Verzweiflung. Allerdings ist es auch möglich (zumindest für
uns), ein gänzlich neues Element zu finden, einen kalten Zorn; beinahe schon
eine Drohung gegen die äußere Welt. Ich weiß, daß es vielleicht paranoid
klingt und vielleicht ist es das auch. Natürlich ist mir bewußt, daß nicht
die ganze Welt mein Feind sein kann und ich spreche hier nicht über einen
normalen Krieg, dieser Krieg ist schon längst verloren. Diese 'desert of
ice' ist schwierig zu erklären, vielleicht sollte man sich einfach die
Musik anhören, sie bringt das, was ich aussagen möchte deutlicher rüber,
als diese Antwort. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich sehr froh darüber.
Entry: Kommen wir zu einem weiteren Stück, 'Ocean Of
Disappearance'. Ich hatte mit diesem recht monotonen Stück so meine
Probleme. Es mag zwar interessant sein, lediglich Radioloops für ein Stück
zu verwenden, allerdings über mehr als 1/3 der ganzen CD?
Angelo: Nun, das Stück wurde aus einer noch längeren Aufnahme extrahiert ...
ja, es ist wirklich nur ein kurzer Ausschnitt. Ich habe in den letzten
Jahren einige elektronische Stücke komponiert, indem ich Radios benutzt
habe. Verlorene Radiosignale. Mir ist bewußt, daß es keine unbedingt
angenehme Musik ist, allerdings finde ich, daß es auch nicht so schwierig
ist, ihr zuzuhören. Für mich ist es wie pures Eis und ein Gefühl, als wenn
man sich langsam selbst verliert. Um es mit wenigen Worten zu sagen, das
Stück ist für mich genau der richtige abschließende Teil für diese Arbeit.
Okay, das Stück ist sehr lang, aber ich habe das Label gebeten, die CD zum
Preis einer Maxi-CD zu verkaufen, welches mir das auch bestätigt hat. So
kann der Käufer darauf verzichten, sich dieses Stück anzuhören, ohne das
Gefühl haben zu müssen, betrogen worden zu sein.
Entry: Ihr habt hier in Deutschland einige Zeit mit
Discordia zusammengearbeitet, bevor sie zugemacht haben. Wie seid Ihr nun
mit Triton zufrieden?
Angelo: Triton versucht nach dem unglücklichen Fall von Discordia eine
Zukunft zu finden. Wir haben uns dafür entschieden, Klaus Bader erneut
zu vertrauen. Ich kann im Moment noch nicht sagen, ob wir für immer
zusammenarbeiten werden, aber wir haben nie einen Gedanken darüber verloren,
Triton/Discordia zu verlassen, auch nicht in den schlechten Zeiten.
Entry: In den 70'er Jahren hast Du für einige Zeit
auf einem Friedhof gelebt. Glaubst Du, daß dieses Leben Dich in musikalischer
Hinsicht beeinflußt hat?
Angelo: Es war in den 60'ern, was aber nichts zur Sache tut. Dieser Friedhof
war eine Art Freizeitpark für mich. Ich wuchs mit dem Gefühl von Vertrautheit
mit dem Tod und seiner Symbole auf, aber ... der Tod, den ich kenne, ist
lediglich das Resultat von persönlichen Erfahrungen, die ich während der
Zeit gemacht habe. Ich sah in meinem Leben eine Menge Menschen sterben und
nun bin ich fast alleine. Keiner der Menschen, die ich in meiner Jugend
kannte, ist jetzt noch am Leben. Es ist vielleicht nichts besonderes, aber
der Tod scheint mir wirklich nahe zu sein ...
Entry: Was denkst Du über die 'schwarze Szene', aus
der sich wohl ein Großteil Eures deutschen Publikum rekrutiert? Kannst Du
Dich mit dieser Szene identifizieren?
Angelo: Ich habe nichts gegen diese Leute und ich respektiere sie sogar.
Manchmal sind einige von Ihnen lediglich Poser und ich denke, daß es sich
nur um langweilige junge Leute ohne eigene Identität handelt. In manchen
Situationen ist es nicht unbedingt so lustig, sich wie ein Vampir zu kleiden
und es ist ganz sicher nicht die Patentlösung für das Leben. Natürlich kenne
ich auch einige extraordinäre Leute aus dieser Szene. Wir sind offen für
Alle, die sich wirklich von all diesen bescheuerten Normalos unterscheiden.
Entry: In einem älteren Interview hast Du darüber
gesprochen, daß Du psychisch krank bist. Glaubst Du, daß das Komponieren
von Musik eine Art Therapie für Dich ist? Wäre es dann nicht besser, weniger
düstere Musik zu schreiben?
Angelo: Wie ich schon einmal sagte, Musik ist meine letzte mögliche Stimme
und manchmal benutze ich sie verzweifelt, um all die Dinge zu erklären, die
sonst so schwierig auszusprechen sind. Menschen werden schnell verlegen,
wenn es darum geht, bestimmte Dinge anzusprechen. So habe ich ihr Spiel
gelernt und versuche ihre Ängste zu respektieren. Die Musik ist ein
verzweifelter Energiekanal, in den ich mein ganzes Leben einfließen lasse,
inklusive Träume und verrückte Beobachtungen. Ich bin isoliert, selbst wenn
ich täglich von vielen Menschen umgeben bin. Manchmal wundere ich mich, ob
es überhaupt einen Grund gibt, sie zu treffen und die Antwort ist: ja, da
sie etwas benötigen. Nur das und sonst nichts, losgelöst von irgendwelchen
Erwartungen. Nun, Musik verbindet einzelne Teile von mir, die ansonsten
vielleicht verloren gingen, da die Menschen so unachtsam sind.
Für mich ist es seltsam, daß einige Leute unsere CD's kaufen. Irgend jemand
irgendwo findet Gefallen daran, einigen wahren Geschichten und wahren Träumen
zu lauschen. Und wenn mir Fans schreiben, fühle ich mich ein wenig besser,
in meinem Exil. Meine Platten und meine Musik sind wie Briefe, die ich
jemandem schreibe, vielleicht jemandem unbekannten. Ich mag es, da ich
es fühlen kann. Ja, manchmal ist meine Musik gefährlich für mein inneres
Gleichgewicht, gerade die letzte CD in der ich mein reinstes Herz
wiederfinde. Allerdings benötige ich diese Art von hoffnungsloser
Aufrichtigkeit, ich brauche es, mein wirkliches Herz zu zeigen, ohne Lügen.
Manchmal ist es wie eine Art Halluzination und es kann mich wirklich
beunruhigen. Nein, Musik ist wirklich nicht nur ein Vergnügen für mich.
Es ist genauso ein gefährlicher Weg und eine Verdammnis aus der ich nicht
entfliehen kann.
Mir ist bewußt, daß es sich so anhört, daß ich so auftreten möchte, wie
ein verfluchter Künstler, der besessen ist von einer heiligen Wut! Nein,
dem ist nicht so, die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: ich versuche
lediglich in mein Innerstes zu schauen, um irgendwie zu einer 'normalen'
Person zu werden. Das ist mein Ziel. Für mich ist 'Normalität' nichts
erschreckendes, nachdem ich so viele von diesen vermeintlichen 'Ich bin
ein Alien'-Typen kennengelernt habe. Ich mag diese Zurschaustellung von
Andersartigkeit nicht sonderlich. Ich glaube nicht an 'Kunst', geschrieben
in großen Buchstaben.
Entry: Was für Musik hörst Du selbst im Moment?
Angelo: Ich höre einige unterschiedliche Richtungen, wie gewöhnlich. Derzeit
höre ich viel ungarische und russische Folklore, aber auch John Foxx, Sparks,
Swans, Morcheeba, ebenso wie einige englische Kombos wie Fluke, Underworld,
Prodigy, auch wenn letztere sich nicht besonders 'neu' für mich anhören.
Ich habe eine alte deutsche Sängerin entdeckt, Sonja Kehler und ich suche
noch immer nach einigen Aufnahmen von ihr (wir werden ein Stück von ihr
covern). Natürlich höre ich auch noch Nico und einige persönliche Freunde,
deren Namen ich jetzt aber nicht nennen möchte, da man mir sonst
'Schleichwerbung' nachsagen könnte.
Entry: Wenn Du die Möglichkeit hättest, was würdest
Du im derzeitigen Europa ändern?
Angelo: Ich würde dafür sorgen, daß europäische Nächte auch wieder für
alte und behinderte Menschen nutzbar würden, nicht nur für Verbrecher und
Idioten. Ich würde für mehr Ordnung und weniger Leid sorgen, wobei das
eine heikle Sache wäre, da ich nicht glaube, daß Intoleranz und 'Hexenjagden'
der richtige Weg sind. Aber ich erzähle hier lediglich von einem unmöglichen
Traum, glücklich sind die Leute, die von Chaos und Gewalttätigkeiten träumen,
sie sind ja so 'trendy', wow!
Entry: Gibt es irgendwelche Nebenprojekte, an denen
Du derzeit arbeitest?
Angelo: Ja, vor einigen Monaten habe ich eine Band mit dem Namen STALINGRAD
gegründet. Diese Band ist schon so etwas, wie ein KIRLIAN CAMERA-Nebenprojekt.
Wir werden das Debütalbum allerdings mit größtmöglicher Ruhe aufnehmen, wir
haben da keine Eile. Bei den Personen, die in dieser Band spielen, handelt
es sich um Barbara Boffelli und Ivano Bizzi von KC und Giovanni Fiaschi vom
Original-Lineup von LIMBO. Unser erstes Stück, das von Ivano geschrieben
wurde, wird auf einer CD-Compilation veröffentlicht. Es ist so eine Art
klassische Hymne, allerdings sehen wir auch schon weiter zu anderen Horizonten,
insbesondere haben wir da ein starkes Gefühl von Verfall vor Augen. Eine
andere Arbeit, die ich alleine unter dem Namen URANIUM USSR 1972 eingespielt
habe ist soweit vollendet, doch leider habe ich bisher noch nicht die Zeit
gefunden, jemanden zu fragen, ob er sie veröffentlichen will. Man wird sehen.
Es ist ein extrem kaltes und minimalistisches Elektronikalbum, am ehesten mit
KC's 'Ocean Of Disappearance' von unserer letzten CD zu vergleichen. Ich kann
mich in diese Arbeit hineinversetzen, aber ich weiß, daß viele Leute es
einfach nur langweilig finden werden. Dann gibt es da noch ein junges Mädchen
namens Leutha, die ich letzten Sommer produziert habe und ich erwarte mit
Spannung ihr Debüt auf Triton Records. Sie war im Studio total frei und wir
gaben ihr lediglich einige Hilfen bei der Produktion und bei einigen
elektronischen Dingen. Sie spielt minimalistische eisige Elektronikmusik
mit einigen ganz leicht gefilterten Vocals. Ich hoffe, daß sie auf unserer
nächsten Tour als Support auftreten kann. Außerdem liegt noch eine weitere
großartige Zusammenarbeit in der Luft, allerdings möchte ich noch ein wenig
warten, bevor ich darüber etwas berichte.
Entry: Was ist ansonsten für 1998 geplant?
Angelo: Wir werden 1998 eine Menge Gigs spielen, da wir Live-Auftritte im
Moment einfach mögen. In unserer kommenden Tour werden wir auch in Italien
spielen ... einfach unglaublich! Doch zunächst arbeiten wir an unserem
nächsten Album, auf dem man auch einige ältere KC-Stücke wiederfinden wird.
Diese Stücke werden für ein großes professionelles Orchester und den
Königlichen Theaterchor von Parma total umgeschrieben und umarrangiert.
Das ist eine wirklich stressige Arbeit, da wir den Orchesterdirigenten
drei Mal wechseln mußten. Mittlerweile haben wir einen Vertrag mit einem
wirklich talentierten Dirigenten abgeschlossen. Außerdem ist das Geld ein
großes Problem, denn einige Orchester und Chöre verlangen einfach
unglaubliche Preise. In den nächsten Monaten wird eine Auswahl an alten
Originalsingles und Songs auf einer Doppel-CD erscheinen, fast alle in ihren
alten Versionen und es wird das Schaffen von rund 20 Jahren KC abgedeckt.
Als Kontrast dazu wird das Orchesteralbum keine wirklich alten Stücke
enthalten, sondern vielmehr einige alte Melodien, die aber meilenweit
vom Original entfernt sein werden. Selbst die Texte haben sich zum Teil
ein wenig geändert. Eigentlich war es für uns nur ein Vorwand, alte Stücke
zu benutzen, um mit bestehenden phantastischen (zumindest für uns) Melodien
zu arbeiten und ihnen ein ganz anderes und neues Leben zu geben. Dabei
haben wir akustisches und klassisches Equipment plus die Solostimmen
von Emilia, Barbara usw. benutzt.
Entry: Vielleicht noch ein Schlußwort?
Angelo: Ja, auch wenn es banal klingt, ich hoffe, schon bald nach Deutschland
zu kommen, um bei Euch wieder live zu spielen. Irgendwie habe ich Heimweh
nach eurem Land.
Thorsten Kübler
Taken from: http://www.entry-magazin.de