Black #22, Winter 2000
Kirlian Camera sind trotz aller Verleumdungen, Anfeindungen und Angriffen
nicht "umgefallen", haben mit E.N.D.E. ein neues Label gefunden und
mit "Still Air" ein neues Album veröffentlicht. Und da ich die Musik
bzw. die Personen von Kirlian Camera sehr liebe, gibt es auch diesmal wieder
ein Interview im BLACK und mögen doch die angeblichen "Gruftis
gegen rechts" noch so winseln, sie werden in diesem Interview nichts
politisch unkorrektes finden... außer sich selbst!
BLACK: Mittlerweile ist es ja bei unseren Interviews mit Dir zur Tradition
geworden, als erstes nach dem derzeitigen Labelstandort zu fragen - nach
DISCORDIA, NOVA TEKK und TRITON bist Du jetzt mit Kirlian Camera bei
RADIO LUXOR/E.N.D.E. gelandet, wieso und warum?
ANGELO: Trotzdem das Label noch relativ jung ist, sehe ich es als sehr
motiviert an. Wir haben uns für dieses entschieden, da es sehr viel
Leidenschaft und Gefühl in seine Arbeit legt. E.N.D.E. hat uns mit sehr
viel Enthusiasmus aufgenommen. Ich kann nicht mehr für Leute
arbeiten, bei denen es zur Gewohnheit geworden ist, meine Arbeit nicht zu
beachten. Ich opfere keine Zeit mehr für Leute die meine Arbeit nicht
zu schätzen wissen!
BLACK: Deine erste Zusammenarbeit mit dem neuen Label war ein Beitrag
für den Laibach-Tribute-Sampler mit dem seltsamen Titel "Schlecht und
ironisch", welchen ich aber leider nicht kenne. Warum dieser etwas abwertende
Titel und ist diese CD wirklich ein Tribut? Wie findest Du persönlich
Laibach und welchen Track von ihnen hast Du gecovert bzw. warum gerade
diesen?
ANGELO: Wir haben "The Final Countdown" vom "NATO"-Album
gecovert. Wir haben versucht gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Europe und
Laibach zu finden. Wir haben bewußt versucht den Originalgesang von
Europe zu überspielen, um nicht eine Kopie von Laibach zu sein. In
unserer Version ist der Hintergrund Industrial, kleine Samples von Laibach,
Brahms, Wagner und Pink Floyd und der von Emilia vorgetragen Text von
"Brat Moi" - total durcheinander. Es hat Spaß gemacht und es war noch
interessanter, well ich und Emilia sehr viel von dieser Gruppe halten, da sie
eine der wenigen war, die geniale elektronische Musik schon 3-4 Jahre vor
den Musikstilen der 90'er Jahre machten. Ich weiß nicht genau warum
dieser Tribut-Name benutzt wurde, aber ich weiß das er praktisch
ironisch von Laibach benutzt wurde. Ich glaube die Band ist sich des Namens
dieses Tributs bewußt, aber hat sich dazu nicht geäußert.
Ich denke E.N.D.E hat ihn in Relation zu der fast zensierten Originalversion
benutzt. Diese Album zeigt eine Art Hitler-Frankenstein auf dem Cover, welche
versucht Mißverständnisse zu vermeiden, welche ja aber immer
da waren.
BLACK: Und da wir gerade bei Coverversionen sind: Allerseelen haben auf
"Neuschwabenland" Euer "Motionless" gecovert bzw. verarbeitet wie
kam es dazu und bist Du mit dem Ergebnis zufrieden?
ANGELO: Ich bin zufrieden mit der Arbeit von Kadmon, da ich sehe,
daß er mit der Zeit immer besser wird. Er verbessert Album für
Album seine musikalische Art, was auch die hypnotische Version von
"Motionless" bezeugt. Ich glaube diese Version wird auch auf
"Kältecontainer" erscheinen.
BLACK: Deine zweite Arbeit für RADIO LUXOR/E.N.D.E. war die
Produktion des Duos Criminal Asylum, welche mich etwas an den Sound von
Kirlian Camera erinnern. Was kannst Du uns Interessantes über dieses
Projekt berichten?
ANGELO: Criminal Asylum ist eine neue Gruppe und welche sicherlich
von SPK, Kirlian Camera und Plastikmann beeinflußt ist, aber versucht
eine eigene Vision von diesem Sound zu finden. Ihre Arbeit ist schon sehr gut
und das, wo sie gerade mal 17 Jahre alt sind. Die Produktion des Albums war
aber schlecht, da die Produktionsbudget sehr gering war. Criminal
Asylum hat viele Einflüsse aus der nordischen Kultur und Esoterik.
Sie versuchen die modernen Sounds und die 80'er Jahre, die jetzige
elektronische Musik aus Deutschland und England, B-Movie Horror, Fantasy und
suburbanen Kulturen zu mixen. Sie werden bei unseren Konzerten Support
sein.
BLACK: Doch jetzt zum neuen Album "Still Air": Insgesamt gesehen ist die
Atmosphäre wieder wesentlich dunkler und kälter als gegenüber
den Vorgängerwerken geworden - warum?
ANGELO: Es ist das Ergebnis unseres momentanen Lebens und Alltags. Wir
haben versucht eine leidenschaftliche Sprache und Technik zu finden was
gerade passiert, ohne wehleidig zu klingen. Es sind fast wie verträumte
Bilder von erlebten Momenten, welche in einem kalten dunklen Sound fast
keinen Platz mehr für erklärende Worte benötigen. "Still Air"
ist nicht mit anderen Alben zu vergleichen, es ist fast störrisch, will
aber trotzdem angehört sein. Es ist wie eine Person die sich in eine
Ecke zurückzieht und nichts mehr von irgendwem erwartet. Es ist fast wie
eine Zeit die es nicht mehr gibt. Für mich ist es keine Depression, aber
ich weiß, das ich kein freudiger Mensch bin und weiß nicht wie
ich es noch weiter erklären soll und deswegen höre ich jetzt damit
auf.
BLACK: Im ersten Track "The Unreachable One" benutzt Du ein Sample
aus dem Film "Crash", welcher mit zu meinen absoluten Lieblingsfilmen
gehört! Was bedeutet Dir dieser Film bzw. warum hast Du dieses
Sprachsample verwendet?
ANGELO: "Crash" ist ein sehr beeindruckender und schöner Film,
traurig und desillusionierend. David Cronenberg hat eine eigene
Ausdrucksweise im Film, die nur wenige haben und er schafft es, eine
düstere Atmosphäre aufzubauen. Ich habe das Zitat "vogliono
che tu ti rimetta (sie wollen das du wieder gesund wirst)" gesamplet, welches
Deborah Hunger zum Hauptdarsteller sagt, der nach einem Unfall im
Krankenhaus liegt. Es ist eine Phrase in einer desillusionierenden, traurigen
Art. Es ist, als ob schon alle Tränen geweint sind.
BLACK: Die Sprache in "Black Harbour" scheint wieder pure
Phantasie zu sein?
ANGELO: Es ist eine Sprache, die wir an unsere Bedürfnisse
angepaßt haben und welche auf allen Sprachen der Welt basiert. Wir
zerhacken die Worte und bauen sie nach unseren Bedürfnissen wieder
zusammen. Einige dieser Worte sind vielleicht noch zu verstehen, wenn man nur
genau den Text liest. In diesem Lied werden die Gefühle nicht
ausgedrückt, vielleicht aus Scham aber es wurde eine kleine Spur
gelassen.
BLACK: Was möchtest Du mit dem Song "Unaufmerksame Leute"
ausdrücken und meinst Du damit vielleicht eine bestimmte Person?
ANGELO: Ich meine damit eine besondere Person, aber auch andere. Ich sage
zu ihr, das etwas Schlimmes passiert, aber es ist, als ob sie schläft
oder mich nicht hören kann oder will. Es ist wie eine leise nahende
Tragödie. Wie die Warnung vor einem Fehler, den man stoppen könnte,
bevor es zu spät ist.
BLACK: "'Heaven's Darkest Shore 1' entstand in Zusammenarbeit mit 6
Comm - was kannst Du uns über diese Kollaboration berichten und wird es
davon vielleicht eine Fortsetzung geben?
ANGELO: Ich kenne Patrick schon länger und habe seine Arbeit
mit 6 Comm und Death In June schon immer geachtet und denke, ihm gefallen
unsere Platten auch. So ist es gekommen, daß er spontan für eine
Zusammenarbeit zu uns gekommen ist. Ich schickte ihm ein DAT mit dem
Grundgerüst eines möglichen Stückes von uns, welches er
bearbeitete, seine Vocals hinzufügte, abmischte und anschließend
wieder zu mir schickte zum Mastern. Elena und ich fügten zu diesem
Stück noch Gesang, den wir geschrieben hatten. Ich denke, die Arbeit mit
6 Comm wird fortgesetzt. Wir überlegen gerade, ob nächsten Sommer
ein Album mit dem Namen Kirlian Camera/6 Comm erscheinen wird.
BLACK: Wird es zu "Still Air" noch eine Maxi-Auskopplung geben?
ANGELO: Bald erscheint eine besondere Single mit dem Namen "Absentee"
welche das gleichnamige Stück des Albums + neue Tracks beinhaltet und
ca. 50 min gehen wird. Es wird eine EP welche mehr als eine normale Maxi
enthält. Es wird einen Remix von "At Any Moment Now" by T.A.C. in
Zusammenarbeit mit Limbo geben. welches sich vom Original völlig
unterscheidet und eine Version von Paolo Varola, welcher mein Mitarbeiter
bei USSR 1972 ist beinhalten. Außerdem wir eine neue Version von
"Blue Room" darauf sein, welche von Emilia und Elana gesungen wird.
BLACK: Geplant ist als nächstes bei Kirlian Camera die
"Kältecontainer"-BOX mit Buch und Tribute-CD - was können wir hier
konkret erwarten und was möchtest Du mit dem Namen "Kältecontainer"
ausdrücken?
ANGELO: Also - "Kältecontainer" ist kein Tribut! Die BOX enthält
ein Buch mit Bildern, einem Exklusiv-Interview mit Kirlian Camera, einer
Biographie (geschrieben vom Labelchef von E.N.D.E./RADIO LUXOR Massimiliano
Medagli), eine CD mit Remixen und Coverversionen anderer Bands von unseren
Stücken. Eine Limited Edition enthält außerdem eine Mini-CD
mit 4 Re-works von anderen Bands, ein Poster und ein T-Shirt. Ich weiß
nicht, was Massimiliano mit diesem Titel aussagen will, da er den Titel ja
vorgeschlagen hat? Wir haben mit diese Projekt nicht allzuviel zutun, denken
aber das es eine sehr gute Arbeit wird. Die mitwirkenden Bands sind: Zosma, 6
Comm, Wumpscut, Allerseelen, Collection D'Arnell-Andrea, T.A.C., Leutha.
Shining Vril (John Murphy), Andrew King, Sword Volcano Complex (Bruce
Lafountain), Naevus, Manipulation, Leisure Hive, Andromeda Complex, Limbo,
Die Larm etc. Sie wird (denke ich) im Dezember spätestens Januar
erscheinen. Eine richtige Tribut-CD wird 2001 erscheinen und es wird (glaube
ich eine deutsche Produktion sein. lch weiß nicht viel über dieses
Projekt, habe es aber auch angenommen, da es von Leuten gemacht wird, welche
ich sehr schätze und welche mit Leidenschaft dabei sind.
BLACK: Geplant sind bei Euch ja schon seit längerem das Klassikalbum,
das Stalingrad-Projekt und Dein USSR 1972-Projekt - was ist aus diesen
Vorhaben geworden?
ANGELO: Ich hatte viel zu tun mit Kirlian Camera, weswegen sich die
anderen Sachen länger verzögern als ich geplant hatte. Ich kann
sagen, das Elena und ich schon einige Stücke für Stalingrad
aufgenommen haben und das Ivano Bizzi aus Zeitmangel das Projekt erst
einmal zurückgestellt hat, aber er arbeitet welter daran. Unsere erste
Arbeit mit diesem Projekt kommt nächstes Jahr raus und der Titel ist
momentan "Court-Martial" und wird es sicher auch bleiben.
Stalingrad ist ein bißchen einfacher für Elana und mich und wir
sehen mit Freude wie es sich entwickelt. Wegen Uranium USSR 1972 bin
ein bißchen gestreßt, aber langsam werden Dank der Mitarbeit
meines Mitstreiters Paolo Varola ein paar Stücke fertig. Das erste
Ergebnis dieser Zusammenarbeit wir auf der nächsten Kirlian Camera-MCD
zu hören sein.
BLACK: Wann dürfen wir Kirlian Camera wieder Live in Deutschland
bewundern oder haben Dich die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit
abgeschreckt?
ANGELO: Ich bin über diese Vorfälle nicht erschrocken,
überhaupt nicht, well es nicht das erste mal war! Wir sind immer bereit
in Deutschland zu spielen, keine Frage, nur müssen die Leute endlich
verstehen das wir keine politische Propaganda machen. Ich kann nicht
verstehen, das uns jemand so etwas vorwirft. Ich weiß nicht, was diese
"Freunde" von uns wollen?!? Die Organisation "Gruftis gegen
rechts" hat mir ein Brief geschrieben, aber ich kann den Sinn dieses Briefes
nicht verstehen, da ich kein deutsch kann. Ich kann nur italienisch und
englisch. Ich kann nur sagen. daß diese Leute sehr Anti-Demokratisch
sind, wenn sie unsere Konzerte weiter sabotieren. Ich kann diese Typen nicht
respektieren, tut mir leid! Ich kann wiederholen das keiner von uns
irgendwelche Erklärungen zu Anti-Nazi, Anti-Kommunist oder Anti-Sonstwas
macht. Wir werden wieder nach Deutschland kommen und das deutsche Publikum
kann selber entscheiden, ob es zu unseren Konzerten kommt oder nicht. Aber
wir wollen nicht, daß sich dann jemand gegenseitig beleidigt oder
schlimmeres passiert!
BLACK: Wie sieht es denn mit einer Homepage von Kirlian Camera aus?
ANGELO: Ich denke da wird was kommen, bin mir aber noch nicht sicher. Ich
denke noch drüber nach.
BLACK: Welche Alben anderer Künstler haben Dich in letzter Zeit
beeindruckt bzw. was ist Deine persönliche Top 5 2000?
ANGELO: Mir sind da ein paar im Kopf, aber ich möchte hier niemanden
verletzen, wenn ich ihn nicht nenne und deswegen sage ich nichts dazu.
BLACK: Ich danke Angelo für dieses Interview und Grüße an
Emilia und Elena. Großer Dank geht auch an Giusy für die
italienische Übersetzung und Dirk Raabe für seine Hilfe.
Marco Fiebag
Übersetzung: Giusy Treutler